Die Verantwortung für Untersuchungsergebnisse und deren Bewertung endet nicht mit der Übergabe eines Untersuchungsberichtes und der Akzeptanz des Untersuchungsberichts durch den Auftraggeber. Sie endet nicht mit der einem kritischen Review-Prozess folgenden Publikation in einer Fachzeitschrift. Im Gegenteil beginnt an diesem Punkt eine neue Verantwortungskette.
Die Maßgaben der Qualitätssicherung entsprechend der Guten Laborpraxis (GLP)[1] , des Research & Development Guide (RD-Guide)[2] und der aktuellen DIN 17025:2018:03[3] beheben einen wesentlichen Mangel nicht. Sie unterlassen Vorgaben zur Folgeverantwortung, wie sie zum Beispiel insbesondere in wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung zu fordern ist. Auch die aktuelle Version der Guten wissenschaftlichen Praxis (GWP)[4] entzieht sich dieser Verantwortung.
Intermezzo:
Übereinstimmende, abwehrende Äußerung einiger Leitungen von nach DIN 17025 akkreditierten Prüfeinrichtungen:
„Unsere Ergebnisse sind sicher. Ergebnisse sind, wie sie sind. Alle vernünftigen Maßnahmen zur Sicherstellung der Richtigkeit von Ergebnissen wurden getroffen.“
Ähnliche, vermutlich dem abdominalen Urteilsvermögen (Bauchgefühl) entspringende Festlegungen sind auch Alltagsformulierungen in der Forschung. Die Alltagserfahrung lehrt:
„Überzeugung ist gut. Realität sieht oft erschreckend anders aus.“
Der Rechner verkündet, es stehen soundsoviele zum Teil kritische Updates zur Installation bereit. Das Smartphone meldet Apps und Betriebssystem werden aktualisiert. Der Discounter und der Autohersteller rufen verkaufte Waren zurück beziehungsweise verändern sie im Zuge einer Inspektion in der Vertragswerkstatt.
Ursache dieser Beobachtungen sind Fehlerkorrekturen zur Gefahrenabwehr. In welchen Kontexten kommen solche „Rückruf“ genannten Fehlerkorrekturen vor? Gibt es solche Fehler auch im Medizinbereich, der auf Vertrauen besonderen Wert legt und streng kontrolliert wird? Welche Kosten entstehen durch einen Rückruf?
Eine Google-Suche nach den Begriffen „Datenbank“ und „Rückruf“ ergab am 10.10.2018 folgende Quellen:
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) betreibt eine Datenbank für Herstellerrückrufe[5].
Drei aktuelle Ergebnisse:
- Dringende Sicherheitsinformation zu Inter-atrial Shunt Device (IASD) System II/Corvia Medical, Inc. Von Corvial Medical, Inc. (Das Einführsystem kann ggf. mit Schrittmacherelektroden wechselwirken). Die Maßnahme besteht in einer überarbeiteten Gebrauchsanweisung (09.10.2018)
- Dringende Sicherheitsinformation zu Biograph Horizon and Biograph mCT von Siemens Medical Solutions USA, Inc. Molecular Imaging; (Die Netzanschlussklemmen des Systems können locker sein). Gegenmaßnahme Maßnahme ist Kundendienstbesuch (09.10.2018)
- Dringende Sicherheitsinformation zu Rossmann Schwangerschaftstest Facelle von LaVita GmbH;(Es kann zu falsch positiven Testergebnissen kommen); Maßnahme ist Produktrücknahme (08.10.2018)
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat eine Datenbank „Gefährliche Produkte in Deutschland“ eingerichtet[6].
- „Nestschaukel“ von Aldi-Süd; (Metallringe zur Aufhängung können sich bei starker Belastung öffnen); Rückruf (09.10.2018),
- Reisenetzteil von KINGSUN ENTERPRISES DEVELOPMENT CO., LTD; (Der Benutzer kann mit spannungsführenden Teilen in Berührung kommen); Rückruf (05.10.2018)
- Tiguan von VW; (In Folge der falschen Verschweißung der unteren Befestigungsöse des hinteren gasgefüllten Stoßdämpfer kann sich die Stoßdämpferbefestigung an der Hinterachse lösen und das Fahrzeughandling beeinträchtigen.) Rückruf (05.10.2018)
Auch sehr informativ die „Rückrufe“-Seite von Gelbe Liste Pharmindex. Leider sind dort für das Lesen der meisten Informationen zu Gründen für Rückrufe nur „medizinische Fachkreise“ zugelassen, sodass dem Normalnutzer nur die Information zu den betroffenen Arzneimitteln bleibt[7].
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit betreibt die Webseite www.lebensmittelwarnung.de auf der sich mit aktuellen Warnungen auch bekannte Lebensmittelhersteller die Ehre geben[8].
Um es kurz zu fassen, jedes Produkt und jede Dienstleistung vom Auto bis zur Zungenwurst kann betroffen sein. Eine Allianz Studie ermittelt etwa 10,5 Mio Euro schaden pro Rückruf[9]. Die Kosten eines Rückrufs werden vom Hersteller beglichen [10].
Ende des Intermezzos (Mythenmetzsche Abschweifung[11])
Die Feststellung eines Fehlers ist nicht identisch mit der Feststellung der Fehlerursache und des Verursachers. Die Neufassung der DIN17025 sieht die Schätzung der Auswirkung möglicher Fehler und des Fehlerrisikos vor (risikobasierter Ansatz). Fehler entstehen auf unterschiedlichsten Ebenen mit und ohne Vorsatz. Ursachen von Fehlern im Endergebnis können mit der Planung der Untersuchung beginnen:
- Zu geringe Gruppengrößen führen zu mangelhafter Power des Ergebnisses.
- Fehlende oder falsche oder eine zu geringe Anzahl von Kontrollen führen zu Nichtbewertbarkeit von Ergebnissen.
- Fehler in der Probenahme, Probentransport, Lagerung, Dokumentationsvorgaben stehen für 95% der Fehlers von Prüfergebnissen.
Fehler im Zuge der Prüfungsdurchführung können beispielsweise entstehen durch:
- mangelhaft oder falsch gelieferte Materialien,
- fehlerhafte Durchführung der Untersuchung,
- Mängel in der Rückführungskette,
- Messgerätefehler und
- Auswertungsfehler.
Ebenso fehlerträchtig kann sich die Bewertung und statistische Auswertung von Untersuchungsergebnissen gestalten. Ungenügende Annahmen bezüglich der Messunsicherheitsanteile und ihrer Quellen, sichtbar durch das Fehlen von Laborvergleichsuntersuchungsergebnissen, können durch die Schätzung einer zu hohen Präzision zu falschsignifkanten Bewertungen führen.
Auch Gerät, Material und Dienstleistung aus geprüften, zertifizierten oder akkreditierten Quellen kann ungenügend und fehlerhaft sein. Die Pflicht zur Überprüfung von Material und Dienstleistung, die in Untersuchungen verwendet werden, liegt bei der untersuchenden Einrichtung. Damit sollten Fehler durch Material eigentlich ausgeschlossen werden. Das Problem liegt im „eigentlich“. Oft sind Fehler nur durch Vergleiche zu entdecken in denen Material aus anderen Quellen mit gleicher zugesicherter Qualität verwendet wird. Führen Zellkulturuntersuchungen bei Verwendung unterschiedlicher Chargen oder Quellen von zum Beispiel fötalem Kälberserum zu unterschiedlichen Prüfergebnissen, sind beide Prüfungen und möglicherweise das Prüfverfahren kompromittiert.
In den Lebenswissenschaften stellt sich das Problem mit mangelhaften und nicht reproduzierbaren Prüfergebnissen besonders gravierend dar. Gewinnt ein Anbieter von Material oder Zellen eine marktbeherrschende Stellung, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass mit dem Untersuchungsvergleich beauftragte Prüfeinrichtungen die gleiche Quelle für ihr Material verwenden und damit eher eine Wiederholungsuntersuchung als eine Vergleichsuntersuchung durchgeführt wird. Unter „Doping in der Petrischale“ veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Skandal um einen wesentlichen Bestandteil von zellkulturbasierten Untersuchungen[12,13].
Mindestens ebenso gravierend wirkt sich die Verwendung von nicht rückgeführten und überprüften Zelllinien aus, die womöglich an eine überprüfende Einrichtung weitergegeben wurde. Kontamination mit Mykoplasmen, Mutationen, Überwachsen durch Fremdzelllinien drohen als Regel von der Ausnahme[14, 15,16].
Die Verwendung eines höheren Signifikanzgrenzwertes in den statistischen Würdigungen, wie es von John Ioannidis gefordert wird, ist eine nur teilerfolgversprechende Lösung und Teil des Problems[17].
Innere Zusammenhänge, falsche Grundannahmen, falsche oder ungeeignete Materialien, Bewertungen von Kalibrationen sind Fehler. Keine noch so scharfe statistische Endbewertung heilt zuvor gemachte Fehler und Falschannahmen.
Zur Qualitätshygiene einer qualitätsgesichert arbeitenden Einrichtung gehört, dass diese nach Kenntniserlangung eines zum Beispiel „Material“-Fehlers die unter Verwendung des inkriminierten Materials erzielten Ergebnisse ermittelt, infrage stellt und überprüft. Sie hat mögliche Einflüsse auf durchgeführte und publizierte Prüfungen 1. zu bewerten und die Ergebnisse gegebenenfalls 2. zurückzuziehen.
Publikationen in Fachzeitschriften besitzen eine Wirkungsdauer von mindestens 5 Jahren in denen diese Ergebnisse von Dritten als Grundlage von Bewertungen, Forschung und Entwicklung verwendet werden. Die Schätzung der Zeitspanne ergibt sich aus der Zeit die durchschnittlich bis zur Verwendung einer Publikation in einem Review-Artikel und damit einer erneuten, externen kritischen und vergleichenden Bewertung vergeht. Somit ist eine Mindestfrist für eine nachsorgende Verantwortung für Prüfergebnisse auf diesen Zeitraum festzusetzen.
Elektronische Laborbücher erleichtern die Rückverfolgbarkeit und Replikation von Untersuchungen. Sie ersetzen jedoch nicht die Kompetenz der untersuchenden Person. Qualitätssicher arbeitende Einrichtungen stellen deshalb eine Verifikationsmöglichkeit für in Publikationen verwendete Ergebnisse sicher. Dies kann erfolgen durch:
- Übertragung von erforderlicher Kompetenz und Wissen auf nachfolgende Personen,
- die Schaffung von Plattformen zum Austausch mit spezifisch Nachfragenden,
- längerfristige Bindung des Personals.
Es darf nicht sein, dass klärende Antworten nicht erfolgen können, weil Personen den Kontext der Einrichtung verlassen haben, ihre persönliche Kompetenz zwar eventuell noch erreichbar ist, die technische Kompetenz aber im neuen Kontext nicht verfügbar ist oder kein Wissen über das verwendete Material und die jeweils verwendeten technischen Kompetenzen akquiriert werden kann. Publizierende Einrichtungen und Individuen sind in einem mindesten, vertretbaren Rahmen nachsorgeverpflichtet für die von ihnen publizierten Ergebnisse, denn eine Publikation verliert ihren Wert ohne Verlässlichkeit und Nachsorge. Sowohl die Einrichtung als auch die Autoren tragen Verantwortung – haften – für Ergebnisse.
Die Makerbewegung zeigt Kreativität und Mut in der Nachsorge. Die Autoren auf Plattformen wie instructables.com stehen sie für die von ihnen publizierten Ergebnisse zum Teil noch mehrere Jahre beratend ein und unterstützen nachvollziehende Anwender[18,19]. Die Autoren pflegen eine Fehlerkultur, die Änderungen und Erklärungen, Alternativen und Erläuterungen mit Querverweisen lebt.
Qualität und Verlässlichkeit sind kein Zufall. Die Vergabe öffentlicher Mittel für Forschung und Entwicklung gehört an eine gelebte Qualitätssicherung gebunden. Die einschlägigen Normen sind in diesem Punkt zu präzisieren oder zu ergänzen. Für Publikationen ist eine Haftung nicht nur mit Blick auf das geistige Eigentum, sondern auch in Bezug auf die Richtigkeit, Nachvollziehbarkeit und Wiederholbarkeit von Ergebnissen auch für einen angemessenen Zeitraum im Anschluss an die Veröffentlichung zu fordern.
Quellen:
Dieser Artikel ist eine Kopie des gleichnamigen Beitrages auf www.virtuelles-Gemeinlabor.de
[3] https://www.beuth.de/de/norm/din-en-iso-iec-17025/278030106
[4] http://www.dfg.de/foerderung/grundlagen_rahmenbedingungen/gwp/
[5] https://www.bfarm.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Filtersuche_Produktgruppe_Formular.html
[7] https://www.gelbe-liste.de/rueckrufe
[10] https://www.rv24.de/online/ratgeber/technik/rueckruf.xhtml
[11] http://de.zamonien.wikia.com/wiki/Mythenmetzsche_Abschweifung
[12] https://www.sueddeutsche.de/wissen/zellbiologie-doping-in-der-petrischale-1.2728554
[14] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1383571816301140
[15] http://www.altex.ch/resources/altex_2017_1_095_132_t4_Pamies2.pdf
[16] https://www.nature.com/articles/bjc2014166.pdf?origin=ppub
[18] https://www.instructables.com/id/ESP32-E-Paper-Thermometer/
[19] http://www.circuitbasics.com/how-to-make-an-arduino-capacitance-meter/